24. Oktober 2016

'Wenn Katzen eine Seele haben' von Kirsten Karneol

Haben Katzen eine Seele? Die Katzen, die uns in diesem Sammelband begegnen, besitzen ganz sicher eine. Sie zeigen uns aus der Katzenperspektive, wie sie neben uns Menschen klug, beherzt und manchmal auch sehr nachdenklich ihre vielen Lebensabenteuer mitten unter uns bewältigen. Dabei halten sie uns Menschen zuweilen sogar einen Spiegel vor.

Das Buch enthält die folgenden, inhaltlich miteinander verbundenen, Katzenerzählungen:

„Sofias Suche“ handelt von der kleinen Katze Sofia, die eines Tages von ihren Menschen im Stich gelassen wird und sich nun in der Katzenwelt zurechtfinden muss. Der kluge Kater Filo hilft ihr dabei. Und zwischen den beiden entwickelt sich bald eine ganz besondere und tiefe Freundschaft.

In „Kleopatra, das Friedenskätzchen“ soll die kleine schneeweiße Katze Kleopatra gegen ihren Willen in den Dienst der Menschen treten. Dabei hat sie schließlich eine ganz wichtige Mission zu erfüllen, die sie bis an ihre Grenzen und weit darüber hinaus bringt.

Gleich lesen: Wenn Katzen eine Seele haben - Sammelband


Leseprobe:
„Fiiilooo! Fiiilooo!“
Ach was für ein ärgerliches Geräusch. Als würde ein rostiger Nagel am Boden eines Blechfutternapfes entlang kratzen ... Sofia versuchte, ihr rechtes und auch ihr linkes Ohr gleichzeitig auf den Boden zu pressen. Erfolglos. Ein Ohr blieb jeweils der lästigen Lärmquelle ausgesetzt.
„Fiiiloooooooooooo!“
Sofia kniff beide Augen ganz fest zusammen.
„Fiiiiiiiiloooooooooooooooooooooooo!“
Aber auch das Zusammenkneifen der Augen half kein bisschen. Sofia öffnete ihr linkes Auge einen winzigen Spalt breit und beobachtete aufmerksam das tanzende Schattenspiel an der weiß gestrichenen Haustür des ihr gegenüberstehenden Hauses. So ließ sich das schreckliche Geschrei wenigstens kurzzeitig ignorieren. Das Schattenbild zeigte die vom Wind bewegten Blätter des großen, alten Kastanienbaumes, welcher an der dem Haus gegenüber liegenden Seite des Gartens stand. Es erschien immer dann auf der Haustür, wenn die allabendlich sinkende Sonne genau auf die Blätter des Baumes fiel.
Nein, Sofia wusste nichts über das Zusammenspiel von Licht und Schatten. Aber ihre Erfahrung hatte sie gelehrt, dass immer, wenn auf der Tür dieses Bild sichtbar wurde, sich genau jene Tür umgehend öffnen würde. Einladend. Verlockend. Und allein ihr galt dann diese Einladung, der sie nur zu gern Folge leistete. Niemand musste sie rufen. Sie wusste schon von selbst, dass jetzt im Hause neben behaglicher Wärme oder Kühle - je nachdem, welche Temperaturen im Freien gerade herrschten - auch ein lecker duftender und reich gefüllter Futternapf auf sie wartete, den sie sorgfältig und bedächtig ausschlecken durfte, bis ihr Magen ausreichend gefüllt war.
Dafür wurde ihr stets die Anerkennung der Hausbewohner zuteil. Sofia verstand nicht, was diese sagten, aber sie spürte, dass es freundliche und lobende Worte waren. Damit kannte sie sich aus. Denn schließlich bewies jeder Tag aufs Neue, dass sie Recht hatte. Stünde denn sonst der randvolle Futternapf täglich wieder am gleichen Platz?
Heute aber war alles anders. So ausgiebig hatte Sofia noch nie das Schattenspiel auf der Haustür beobachten können und allmählich wurde ihr dabei langweilig. Außerdem fühlte sie in der Bauchgegend ein merkwürdig hohles Gefühl, das ihr völlig neu war und das ihr in den Leib hinein zwickte. Sicher hatte sie diesen Schmerz auch früher schon zuweilen gespürt. Doch er verging, sobald sie den ersten Bissen aus ihrem Napf verspeist hatte.
Heute jedoch wurde das missliche Gefühl stärker und stärker und bald protestierte ihr Bauch so laut, dass sie sich ängstlich umschaute. Klang das nicht wie das Knurren des unsympathischen Köters aus dem Nachbarhaus? Aber nein, weit und breit kein Hund in Sicht. Sofia war ganz allein.
Während von hinten ein beinahe frostiger Wind über Sofia hinweg fauchte und ihr das hellrote Fell durcheinander wirbelte, wurde es ihr auf einmal schmerzlich bewusst, dass heute eigentlich alles anders war als bisher. Darüber erschrak sie so sehr, dass sie augenblicklich hochsprang und sich ein-, zweimal im Kreis drehte. Die letzte Drehung machte sie nicht ganz vollständig und legte sich deshalb andersherum wieder auf den Boden, mit dem Rücken zur Tür. Vergessen war der unangenehme Gedanke. Zum Glück!
„Fiiilooooooo ….!“
Ach bitte, nicht schon wieder! Dieses entsetzliche Geräusch! Sofia war der Verzweiflung nahe. In Wirklichkeit handelte es nicht einfach um ein Geräusch, sondern um das Geschrei der Nachbarin, die nach ihrem Kater Filo rief. Das wusste Sofia. Sie war normalerweise geübt darin, Geräusche in gute und schlechte einzuteilen, zumindest wenn es sich um interessante Geräusche handelte. Um die anderen brauchte sie sich schließlich keine großen Gedanken zu machen.
Gut war zum Beispiel das leise Quietschen der Haustür. Es zeigte an, dass sie von draußen ins Warme schlüpfen konnte, sofern sie das wollte. Auch leises Mäusegetrappel war gut. Warum, das verstand sich von selbst. Schlecht war das Gebrumm herannahender Autos. Da musste man um sein Leben rennen. Rostige Nägel, die über Blech kratzten, waren auch schlimm, weil sie in den Ohren schmerzten. Und das laute Gebrüll der Frau von nebenan fand Sofia ganz besonders scheußlich, weil es sich erstens schmerzhaft in die Ohren bohrte und zweitens, weil es drohende Gefahr anzeigte. Noch dazu ließ sich diese Gefahr viel schlechter abschätzen, als die eines heranrasenden Autos. Mit jener Nachbarin war nämlich nicht gut Kirschen essen.
„Fiiiiiiiiiiiiiiiiiiiilooooooooooooooooooooooooooooooo!“
Sofia kam es so vor, als wollte ihr diese Furie von einer Nachbarin die Ohren abreißen. Gleichzeitig verspürte sie einen scharfen Luftzug. Irgendjemand musste soeben an ihr vorbei gerannt sein. Sofia hob ängstlich den Kopf und bemerkte gerade noch, dass das hohe Gras in der Nähe des Kastanienbaumes an einer Stelle viel stärker zitterte als darum herum. Außerdem bewegte sich dort etwas, was farblich nicht zu dem schon herbstlich vertrockneten Gras passte. Beim genaueren Hinsehen erkannte es Sofia ganz deutlich: Dort lugte ein dicker grauer Katzenschwanz hervor, der aufgeregt peitschend hin und her schlängelte.
Im selben Moment tauchten direkt vor Sofias Nase ein paar graubraune, klobige Holzpantoffeln auf. Sofia stieg der muffige Geruch alten Leders in der Nase. Sie erschrak, denn sie wusste natürlich, dass Schuhe nicht einfach ganz alleine umher laufen können. Es gehörte immer jemand dazu, der in diesen Schuhen unterwegs war. Sofia kannte die Person, die in diesen Pantoffeln steckte, nur zu gut. Die Pantoffeln gehörten zu eben jener Nachbarin, die vorhin mit ihrer unangenehmen Stimme nach Filo gerufen hatte.
Sofia machte sich ganz klein. Besser, diese unmögliche Frau bekam sie gar nicht zu Gesicht. Sofias Erlebnisse mit ihr waren nicht die besten. Zu oft schon war, wenn sich die Nachbarin gerade in der Nähe aufgehalten hatte, plötzlich ein Stein an Sofias Kopf oder Schwanz vorbeigezischt oder hatte sie gar am Fell gestreift. Wie schon gesagt: Mit der war ganz und gar nicht zu spaßen.
Doch schon hatte die Nachbarin Sofia am Boden entdeckt und brummte etwas Unfreundliches, Beleidigendes. Es klang so ähnlich wie: „Du dreckiges, hässliches Katzenvieh. Dir sollte man den Hals rumdrehen!“
Sofia erfasste nicht den Sinn der Worte. Der Tonfall allein verriet ihr, dass diese Frau nichts Gutes im Schilde führte. Sofia wünschte sich inständig, sie könne unsichtbar werden und presste die Augen ganz fest zusammen. Ein Glück, die grässliche Frau war verschwunden. Sofia fühlte sich in sich selbst geborgen.
Erst nach einer scheinbar endlosen Zeit wagte Sofia es, ein Auge sehr behutsam halb zu öffnen. Vorsichtig blinzelte sie ins Licht, öffnete dann auch das zweite Auge, schloss beide Augen wieder, öffnete sie erneut … und blickte geradewegs in zwei leuchtend grüne Katzenaugen. Diese Augen sahen fast ebenso grün aus wie ihre eigenen Augen, vielleicht ein wenig dunkler. Aber Sofia kannte die Farbe ihrer Augen nicht. Daher konnte sie solche Vergleiche auch nicht anstellen. Jedenfalls funkelten diese grünen Augen direkt aus dem Gesicht eines prächtigen, silbergrau getigerten Katers, der direkt vor ihr Platz genommen hatte und sie nun unverwandt und ernsthaft anschaute. Sofia wusste sofort, dass es sich dabei um den Kater aus dem Nachbarhaus handelte. Dass er Filo hieß, wusste sie erst seit vorhin. Die Nachbarin hatte schließlich laut genug nach ihm gerufen ...

Im Kindle-Shop: Wenn Katzen eine Seele haben - Sammelband

Mehr über und von Kirsten Karneol auf ihrer Website.

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